#3 The prodigal Son

 

„Neil, wirf zu mir!“, rief der kleine John. Der noch kleinere Neil, bündelte all seine Kraft und warf den gelb-weiß-gestreiften Wasser-Ball zu seinem großen Bruder. Ihr Vater, Morgan, welcher als erfolgreicher Immobilien-Makler tätig war, liegt wie jeden Abend in seinem Liegestuhl, trinkt genüsslich seinen wohlverdienten 19-Jahre gereiften Scotch und sieht seinen Jungs lachend beim Spielen zu. In diesen 30 Minuten vergisst er, dass die Preise vieler Häuser sinken, er vergisst, dass er morgen vier Mitarbeiter feuern muss, er vergisst auch dass es genau ein Jahr her ist, dass seine wunderbare Frau den todbringenden Auto-Unfall hatte. Er sieht nur zu und liebt sein Leben...

15 Jahre später…

„Hey Dad, wir müssen reden...“. John kommt wie jeden Samstag verkatert aus seinem Zimmer in der 4. Etage. Morgan und Neil sitzen bereits seit 30 Minuten am liebevoll gedeckten Frühstückstisch essen French-Toast und Rührei und erzählen sich von den Ereignissen der Woche. Neil absolviert gerade das letzte Jahr der High-School. John entschied sich für ein Jahr Pause nach seiner erfolgreichen Absolvierung des Colleges. Das verbringt er, sehr zur Enttäuschung seines Vaters, auf Partys. Er setzt sich an den Tisch, schenkt sich ein Glas Milch ein und beginnt zu reden „Weißt du? Ich möchte... ich möchte die Welt entdecken, etwas sehen, mich kulturell weiterbilden... Aber, nun... ich brauche Geld. Wie, wie wär’s, wenn du mir einfach das mir zustehende Erbe gibst und mich daraufhin aus deinem Testament streichst? Ich meine: deine Villa und der Porsche sind längst abbezahlt, du bist Millionär! Geldsorgen kennst du nicht...“. Empörung. Von Vater sowie Sohn. Morgen, wusste jedoch, dass es Zeit war. Es war Zeit seinen Sohn gehen zu lassen, auch wenn es ihm das Herz brechen würde. Aus diesem Grund willigte er ein.

Tränen wurden reichlich vergossen. Die drei waren ein Trio, seit Anbeginn der Zeit, wie es schien. Doch immer wieder kam Morgan der damalige Abschied von seiner Mutter in den Kopf:

Als Morgan noch ein ungeborener Fötus war, wurde sein Vater bei einer Demonstration für die Erweiterung der Rechte der Afroamerikaner von einem Polizisten erschossen. Seine Mutter sprach nicht oft über ihn, doch wenn sie es tat nannte sie ihn stets “Black-Superman“, woraus er schloss, dass sein Vater ein wahrer Held war. Vor 36 Jahren setzte sich ein 19-jähriger Junge mit gegelten Haaren und einem Koffer voller Träumen in einen Bus nach Los-Angelos. Er hatte Tränen in den Augen und die Tageszeitung des 21. Aprils 1980 in der Hand. Dieser Junge erlebte gerade einen der schmerzhaftesten Momente seines Lebens. Dieser windige Montag-Morgen... Morgan wird ihn nie vergessen. Mit Anzug, Mantel und einem dicken Schal verließ er das Haus. Seine Mutter setzte ihr typisches Lächeln auf und überdeckte damit den Schmerz, den sie gerade empfand. Morgan lief diese verdammten 37 Meter zur nächsten Bushaltestelle, wohlwissend, dass dies vorerst seine letzten Minuten in Detroit sein würden. Er wusste ebenfalls, dass er in den 36 Stunden einen entscheidenden Schritt in Richtung Hoffnung machen würde. Hoffnung, auf ein Leben mit einer Familie und Geld...

Und so zog nun auch John los. Er setzte sich in ein Taxi, fuhr zum Flughafen stieg in diesen American Airlines Flug und wurde sich der Tatsache bewusst, dass er nun sein geliebtes Los Angeles verlassen wird.

Las Vegas, New York, Rom, Paris, Berlin, Ibiza, Barcelona, Dubai und Tokyo, um nur einige Städte zu nennen in deren Luxus-Hotels er nächtigte. Sein Leben bestand ganze 3 Jahre aus Nächten bis um 4 Uhr morgens, 50 $ Cocktails und Privatflügen. Er hatte dieses beflügelnde Gefühl, dieses Gefühl, dass man nur hat, wenn man glücklich mit sich selbst ist. Er gehörte zu der Elite, hatte alles, was man haben muss und viel mehr.  Ein Job? Was ist das? Diese Einstellung wurde ihm jedoch zum Verhängnis, den auch fast 1.000.000 $ sind nicht alles Geld der Welt...

Nach nur 36 Monaten hatte er die 860.000 $ seines Vaters verprasst. Mit einem fast leeren Bankkonto saß er also in Peking, seinem letzten Aufenthaltsort und einer Millionen-Metropole fest, kopfschüttelnd und ideenlos. John begann mit dem Kellnern in einem kleinen Restaurant. Das restliche Geld seines Vaters genügte für ein 47 m² Apartment, seinen Mindestlohn benötigte er für seinen nunmehr bescheiden Lifestyle. Viele schlaflose Nächte verbrachte er in dieser viel zu kleinen Wohnung. Schlaflose Nächte voller Einsamkeit und Reue, waren nun Teil seines Lebens und nahmen somit den Platz von Freunden und Luxus ein. Er dachte oft daran, wie es nun wohl seinem Vater ergeht, doch leider wurde sein iPhone, welches er erst vor 6 Monaten kaufte, gestohlen. Ein neues Handy konnte er sich also nicht leisten. Und am 79. Tag, nachdem er als reicher Mann nach Peking kam, nahm er sein letztes Geld, holte sich ein Taxi und ein Flugticket und flog mit begrenztem Bankkonto und ebenso begrenzter Beinfreiheit zurück nach Los Angelos, um seinen Vater um Vergebung zu Bitten und sich ein neues Leben aufzubauen

In seinem Eltern-Haus hat sich einiges verändert. Morgan erkrankte 2018 an Krebs. Hautkrebs, Stadium 2. Neil war geschockt. Er ließ sofort alles stehen und liegen, um seinen geliebten Vater zu pflegen. Im Frühjahr 2020 gab es erstaunliche Nachrichten in der Villa der Freemans. Morgan war, nach einer harten Chemo-Therapie geheilt, Neil konnte endlich im 1. Semester seine Ausbildung an der “University of California“ antreten. Die Welt war wieder im Gleichgewicht. Fast. Denn trotz der Bewältigung des Krebs spürte Morgan eine Leere in sich. In keinem Moment, seit Johns Fortgang hätte er sich mehr gewünscht, dass sein Erstgeborener bei ihm wäre. Dieser Wunsch wäre beinahe in Erfüllung gegangen. Nur rund 4 Monate verfehlte John dieses so bedeutende Datum. Morgan konnte seinen Augen nicht glauben. Sein Sohn, etwas älter und etwas weiser, aber immer noch sein Sohn steig aus dem gelben Taxi. Morgan fiel ihm in die Arme. Doch John erwiderte diese Umarmung kaum. Stattdessen war er gebrochen. Tränen kullerten hinunter von seinem sorgenzerfressenem Gesicht, er sagte: „Oh Vater, ich habe gesündigt. Ich verprasste dein Geld mit teuren Hotelzimmern und Alkohol. Ich lebte ein Leben, dass ich nicht verdiente. Genauso, wie ich auch dich als meinen Vater nicht verdiene. Ich bitte dich nur um eine Vergebung, um kein Geld, um keinen Schlafplatz, nur um Vergebung. Erbarme dich meiner!“. Doch Morgan war nicht sauer. Auf Johns herzerwärmendes Plädoyer, erwiderte er nur: „John! Ich vermisste dich so sehr! Ich bin dein Vater, auf ewig. Du hast viele Fehler gemacht. Doch ebenso machtest du etwas, was von wahrer Größe ist: Du batst um Vergebung. Komm schon! Geh duschen! Zieh dir deinen feinsten Zwirn an! Und lass uns deine Wiederkehr, mit einem Steak und einer Flasche Wasser feiern! Nur kein Alkohol!“. John tat, was ihm befohlen wurde. Neil sah sich das alle nur ungläubig an, bis er wutentbrannt wegrannte. Morgan folgte ihm und im Garten, kommt es zur Konfrontation. „Wieso Vater? Wieso? John, verließ dich, verspielte und versoff dein Vermögen, scheiterte an der Aufgabe gewissenvoll zu leben und du belohnst ihn, mit einem Schlafplatz und einem Festessen. Wer von uns brach das Studium ab, um dich zu pflegen? Wer hielt deine Hand als sonst niemand da war? Wer half dir beim Kampf gegen den Krebs?!“, schrie Neil. Doch Morgan blieb ruhig, setzte ein Grinsen auf und umarmte auch Neil: „Du warst es, Neil. Einzig und allein Du. Genauso, wie du es auch sein wirst, der meine Firma übernimmt, denn alles was mein ist, ist auch dein. Du bist mein Erbe und meine Hoffnung. Doch vergesse nie: auch John gehört zu unserer Familie. Mit seiner Bitte um Vergebung bewies er, dass er reifer geworden ist. Ich werden ihn freundlich empfangen und das solltest auch du tun...“.

Neil wollte es nicht zugeben, aber er war sich sicher, dass sein Vater recht hatte. Zu dritt saßen sie am Tisch, sie lachten, sie aßen, sie waren eine Familie. Für diese Zeit vergaß Morgan, dass er bald nicht mehr in der Lage sein wird, seine Firma zu führen. Neil vergaß, dass ihm in naher Zukunft sehr viele stressige Tage bevorstehen würden. Johns Gesicht war für die halbe Stunde glatt und faltenfrei, nicht sorgenzerfressen, wie zuvor.

Von diesem kleinen Tisch ging ein einstimmiges Strahlen aus...